Kliebhan, B.: E.A.MARTELs Besuch der Mammoth Cave im Jahre 1912
E.A.MARTELs Besuch der Mammoth Cave im Jahre 1912
Sensationelle Entdeckung einer Inschrift
Eine für Speleo-Historiker sensationelle Entdeckung gelang dem Höhlenführer Kerry Wood in der amerikanischen Mammoth Cave. In einem „Hovey´s Cathedrals“ genannten Höhlenteil fand er eine Inschrift des bekannten französischen Höhlenforschers E.A.MARTEL aus dem Jahre 1912. An der Authentizität bestehen keine Zweifel. Obwohl die Inschrift in einer Überflutungszone liegt ist MARTELs Name noch nach 90 Jahren gut zu erkennen. Das Datum ist allerdings nur noch teilweise erhalten, es handelt sich aber offenbar um den 12. Oktober 1912.
Vom „Vater der Speläologie“, wie MARTEL oft genannt wird, war bislang nur eine Inschrift aus einer Höhle bekannt: im Aven Armand ritzte er am Tag der Entdeckung Name und Datum in einen Stalagmiten – die Inschrift war noch in den 40er Jahren zu erkennen, ist inzwischen jedoch unter neu gebildetem Kalzit verschwunden. Ansonsten hinterließ MARTEL im Gegensatz zu vielen seiner Nachfolger die von ihm erforschten Höhlen in einem möglichst unveränderten Zustand.
Fig. 1: MARTEL’s Inschrift in Hovey’s Cathedral / Photo: R. Olson
MARTEL bereiste 1912 die USA mit einer Gruppe europäischer Geographen auf Einladung der Geographischen Gesellschaft von New York. Er nutzte die Gelegenheit für einen dreitägigen Abstecher zur Mammoth Cave, die bereits damals als längste Höhle der Welt bezeichnet wurde. Vom 10.-12. Oktober besuchte er alle damals für Touristen zugänglichen Teile, wobei ihn der Höhlenführer Ed Bishop begleitete.
Ed Bishop hatte vier Jahre zuvor mit dem deutschen Ingenieur Max Kämper einen für damalige Verhältnisse erstaunlich präzisen Plan von ca. 35 Kilometern Höhlengängen aufgenommen (1, 4). Dieser Plan wurde allerdings unter Verschluß gehalten und auch dem prominenten Gast aus Frankreich nicht gezeigt, da die Besitzer der Mammoth Cave (zu Recht) befürchteten, dass sich die Höhle bis unter die Nachbargrundstücke erstrecken könnte.
MARTEL stützte sich bei seinen Höhlentouren auf das kurz zuvor erschienene Handbook on Mammoth Cave von Horace Hovey, das 5 Karten enthält: eine (sehr fehlerhafte) Übersichtskarte von Hovey selbst, drei von Max Kämper gezeichnete Teilblätter der Besucher-Routen 1 bis 3 sowie eine Hovey-Skizze der Route 4 in die tagfernsten, erst wenige Jahre zuvor entdeckten Höhlenteile (2).
Fig. 2: Route No. 1 in Hovey’s „Handbook of Mammoth Cave“ / Map: M. Kämper
Auf Hoveys Empfehlung hin führte Ed Bishop seinen Gast bis in diese hintersten Winkel, die bis dahin nur wenige Besucher gesehen haben dürften. Die mindestens 12-stündige Tour, bei der unter anderem der „Echo River“ mit dem Boot zu überqueren war, führte über Mary´s Vineyard durch die Martel Avenue zu den 1907 entdeckten „Hovey´s Cathedrals“. Vermutlich wurden auch die 1908 von Max Kämper erforschte „Gertas Grotte“ und der „Creighton Dome“ besucht.
Für MARTEL war der Besuch dieser Höhlenteile der Höhepunkt seines Besuchs in der Mammoth Cave.
„Hovey´s Cathedrals sind wie ihre Nachbarn Nelson, Einbigler und Edna´s Dome von wirklich eindrucksvollen Dimensionen. Sie erinnern an die großen Calzit-Säulen von Lombrive, aber auf größerem Raum und in größerer Zahl. In diesen tagfernsten Bereichen findet sich die imposanteste Szenerie der Mammoth Cave. Ich zähle sie zu dem Eindrucksvollsten, was ich unter der Erde gesehen habe. Es ist unbedingt erforderlich, den Weg dorthin einfacher zugänglich zu gestalten, durch ein Einebnen der Wege, dem Zuschütten von Spalten, durch Brücken und Geländer entlang der Schächte, durch Leitern an einigen Kletterstellen usw.“ (3, p.61)
Fig. 3: Route No. 4 in Hovey’s „Handbook of Mammoth Cave“ ! Map: Hovey
Besonders mühsam fand der damals 53-jährige MARTEL den Weg ab Mary´s Vineyard:
„Der Weg ist sehr anstrengend, streckenweise schwierig. Zweieinhalb Stunden lang (hin und wieder zurück) muß man stellenweise auf allen Vieren in engen Röhren kriechen, unter niedrigen Decken, auf schmalen Vorsprüngen. Tiefe Löcher sind zu umgehen, man muß sich durch Verstürze zwängen und Wände hinaufklettern. Kurz, sich all der Gymnastik aussetzen, die bei der Befahrung brüchiger, nicht erschlossener Höhlen erforderlich ist.
Zwei Stellen sind besonders unangenehm: Pinson´s Pass und Bottle Hall, wo man durch einen wahren Flaschenhals in einen chaotischen Gang gelangt, den Hovey nach mir benannt hat. Nach links führt dieser Gang lang, gewunden und schwierig in die Helectite Hall und bis zum Galloway´s Dome, nach rechts zu einer großartigen Gruppe von Schächten!“ (3, p.33)
Fig. 4: Martel Avernue – Photo: B. Kliebhan / C. deCroix
Die Information über den Weg zur Helectite Hall stammt aus Hoveys Handbook und stützt sich auf die Forschungen von Max Kämper und Ed Bishop. MARTEL hat diesen schwierig zu befahrenden Höhlenteil sicherlich ebenso wenig selbst gesehen wie Hovey. Der Weg zu Hovey´s Cathedrals und zu Gertas Grotte war für MARTEL das Äußerste, was in der begrenzten Zeit möglich war. Der Besuch verlangte ihm ohnehin genug ab:
„Hier (in Hovey´s Cathedrals) missfiel mir wegen seiner unangenehmen Auswirkungen ganz besonders die allzu absolute Handhabung des Alkoholverbots im dry state Kentucky: volle Tage in der Feuchtigkeit und Finsternis einer gigantischen Katakombe zu verbringen und zur Stärkung (sogar im Hotel) nichts als aqua simplex (reines Wasser wäre der falsche Begriff), Kräutertee oder ginger-beer zu bekommen (was nach gezuckertem Pfeffer schmeckt), und damit eine der dürftigsten Küchen zu begiessen – das würden europäische Höhlenforscher nicht akzeptieren. Ohne einen Rum-Flacon in meinem persönlichen Gepäck hätte ich den sehr mühsamen Besuch von Hovey´s Cathedral nicht beenden können.“ (3, p. 33)
Fig. 5: Hovey’s Cathedrals / Zeichnung: Rudaux
Es ist nachvollziehbar, dass MARTEL, tief beeindruckt von dieser langen und anstrengenden Tour, an einem wenig besuchten, spektakulären Ort mit seiner sonstigen Konvention brach und seinen Namen in die Wand ritzte. Dazu trug sicherlich bei, dass er an den beiden vorangegangen Tagen auf den üblichen Touristenrouten mit Unmengen von Inschriften konfrontiert worden war. Seit dem Beginn der touristischen Besuche der Mammoth Cave in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich unter aktiver Beteiligung der Höhlenführer Heerscharen von Besuchern in der Höhle verewigt. Wobei es als schick galt, seinen Namen an eine möglichst unzugängliche Stelle zu schreiben – sehr beliebt: die Höhlendecke in mehreren Metern Höhe, was mit eine Kerze am Ende einer langen Stange gut zu machen war. Die Höhlenführer verdienten sich ordentliche Trinkgelder, indem sie solche Wünsche erfüllten bzw. erst weckten.
Fig. 6: Ausschnitt aus Martel’s Aufriß der Mammoth Cave
MARTEL nutzte die drei Tage, die ihm in der Mammoth Cave zur Verfügung standen, auf sehr effiziente Weise. Seine Beobachtungen, die er in der Reihe Spelunca Memoires veröffentlichte, sind präzise. Er nahm barometrische und Temperatur-Messungen vor, zeichnete auf dieser Grundlage einen recht genauen Aufriss der von ihm besuchten Höhlenteile und machte konkrete Vorschläge zur Entwicklung der touristischen Infrastruktur.
„Trotz der guten Aufnahme, die ich bei dem Treuhänder der Mammoth Cave, dem Richter Alber C. Janin, gefunden habe und trotz der Unterstützung, die er mir dank der Empfehlungen meines verstorbenen Freundes Reverend H.C. Hovey gewährt hat, verlangt es die Wahrhaftigkeit darauf hinzuweisen, dass grundlegende Veränderungen und Verbesserungen bei der wirtschaftlichen Nutzung der Mammoth Cave unabdingbar sind, um Komfort und Sicherheit der Besucher zu gewähren.
Eine der Verfügungen im berühmten Testament von J. Croghan hat alle Veränderungen in der Höhle, am Hotel und auf dem Grundbesitz vor dem Tod des letzten Erben untersagt. Das Hotel ist also noch so wie vor 100 Jahren. Man hat nur mehr schlecht als recht an den Baracken, aus denen das Hotel eigentlich besteht, das unbedingt nötige getan. Doch insgesamt ist die Anlage verrottet und wurmstichig. In den Zimmern haben Bettwäsche, Fußböden und Möbel die Grenzen der zulässigen Nutzung überschritten: die Furcht vor einer Enteignung verhindern die nötigen Erneuerungen. Es schockiert und geniert den Besucher im Rahmen einer Amerika-Reise auf solch eine Baufälligkeit zu stoßen und eine so renommierte und gut besuchte Sehenswürdigkeit wie die Mammoth Cave ohne elektrische Beleuchtung vorzufinden!“ (3, p.62)
Anmerkung: im Congres wurde über die Einrichtung eines Nationalparks diskutiert. Umgesetzt wurden diese Pläne allerdings erst 1941 mit der Gründung des Mammoth Cave National Park (5)
Einen kurzen Besuch konnte MARTEL der Salts Cave abstatten, die kurz zuvor für Besucher geöffnet worden war – allerdings niemals größere touristische Bedeutung erlangte. Für MARTEL war bereits nach dem Besuch der Eingangsregion bis zum sog. „Monument“ sicher, dass es eine Verbindung zwischen Salts Cave, Colossal Cave und Mammoth Cave geben müsse und in den Hügeln am Ufer des Green River ein über 100 Kilometer langes Höhlensystem zu erforschen sei (derzeit bekannt und von der Caves Research Foundation vermessen sind fast 600 km).
Fig. 7: Echo River / Zeichnung: Rudaux
MARTEL war mit hohen Erwartungen zur Mammoth Cave gefahren. In zahllosen Publikationen war die Höhle als einzigartiges Naturwunder mit spektakulären Räumen, Tropfsteinen und unterirdischen Wasserläufen geschildert worden. Für MARTEL, der die herausragendsten europäischen Höhlen kannte und teilweise selbst erforscht hatte, war die Realität dann doch streckenweise ernüchternd. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass die Autoren in ihren Beschreibungen der Mammoth Cave mehr den Werbeeffekt als die wissenschaftliche Präzision im Auge hatten und deshalb teils schamlos übertrieben hatten.
„Echo River, der so wegen seiner Resonanz-Phänomene genannt wurde, wird in den Beschreibungen zu sehr gerühmt. Es handelt sich lediglich um einen schwarzen Gang mit flacher, meist niedriger Decke, dessen Wände mit Schlamm von Hochwassern bedeckt sind, Kurz, eine komplette Enttäuschung für jemanden, der die Flüsse von Padirac, Bétharra, Labouiche, Adelsberg etc. befahren hat. Wenn Hovey schreibt: „Die unterirdische Welt kennt nichts, was mit der River Route vergleichbar wäre“, dann sicher nur, weil er noch keine schöneren Höhlenflüsse gesehen hat. … Die Breite des Echo River variiert zwischen 2 und 20 Metern. Fast überall kann man mit der Hand die Decke erreichen!“ (3, p.30)
Dennoch verließ er die Mammoth Cave nicht unbeeindruckt – so wie sich bis heute kein Besucher der Faszination dieses gigantischen Höhlenlabyrinths entziehen kann:
„Nach langen Besuchen der Höhle ist mein Eindruck der einer monotonen, grenzenlosen Unendlichkeit. Als Manifestation der Naturgewalten, die die Erdkruste verformt und umgestaltet haben, gehört dies sicher zu den grandiosesten Phänomene auf der Welt, auf einer Stufe mit den gigantischen amerikanischen Flüssen, den Wasserfällen des Zambesi, des Iguazu und des Niagara, der Vulkane der Anden und auf Hawai, der Gletscher im Himalaya und das Inlandis von Grönland. Allerdings, was den visuellen Genuß angeht, wie elegante oder majestätische Tropfsteinformationen, so zählt Mammoth Cave nicht im Vergleich zu den französischen Wunderwelten wie Aven Armand, Padirac, Dargilan, Bétharram, La Cave – den spanischen wie die Höhlen in Majorca, den österreichisch-ungarischen wie der Höhle von Adelsberg.“ (3, p.60}
(c) Bernd Kliebhan 2003
Literature:
1. KÄMPER, M.; Karte der Mammoth Cave, 1908, unpublished / a redraw of Diana O. Daunt was published in 1981 by the Cave Reserach Foundation
2. HOVEY, H.C.: Hovey´s Hand-Book of The Mammoth Cave of Kentucky. Louisville 1909
3. MARTEL, E.A.: Explications sur Mammoth Cave. Spelunca No. 74, 1913.
4. KLIEBHAN, B.: Max Kämper und seine Vermessung der Mammoth Cave im Jahre 1908 . Die Höhle 4/97
5. BRIDWELL, M.M.: The Story of Mammoth Cave National Park, 11th Edition 1971